Als Christen haben wir oft verschiedene innere Konflikte in dieser Welt. Zum Beispiel wollen Christen auf der einen Seite Gott dienen. Auf der anderen Seite verbringen sie aber die meiste Zeit des Tages an der Arbeit. Wie ist das miteinander zu vereinbaren? Wertvolle Gedanken dazu habe ich im Buch „Berufung – Eine neue Sicht für unsere Arbeit“ von Timothy Keller gefunden:
Als Luther begriffen hatte, dass er ja durch Gnade erlöst war und nicht aufgrund eigener Leistungen, begann er, ganz neu über die Bibel zu denken – und auch über die Arbeit. Hier entdeckte er insbesondere zweierlei. Erstens: Wenn man „geistliche“ Werke vorweisen musste, um gut vor Gott dazustehen, dann würde immer ein fundamentaler Unterschied zwischen den „geistlichen“ Berufen und allen anderen bestehen. Konnte man dagegen durch geistliche Arbeit absolut keine Verdienste bei Gott sammeln, dann durfte man diese Arbeit auch nicht mehr als etwas Höheres als andere Formen der Arbeit sehen.
Aber das Evangelium von der Erlösung allein durch Gnade bedeutet noch ein Zweites für das Thema „Arbeit“. Suchten die Mönche des Mittelalters Erlösung durch religiöse Arbeit, so suchen viele heutige Menschen so etwas Ähnliches wie Erlösung (nämlich Selbstachtung und Selbstwert) durch ihre Karriere. Es ist dieses Denken, das uns nur die lukrativen, mit Geld und Status verbundenen Arbeitsstellen suchen und sie auf eine perverse Art „anbeten“ lässt. Doch das Evangelium befreit uns von dem gnadenlosen Druck, uns selber beweisen und unsere Identität durch unsere Arbeit gewinnen zu müssen, denn die nötige Selbstvergewisserung ist durch Christus bereits geschehen. Es befreit uns auch von einer herablassenden Haltung gegenüber „einfacher“ Arbeit und vor dem Stolz auf „höhere“ Tätigkeiten. Stattdessen wird jetzt jede Art von Arbeit ein Ausdruck der Liebe gegenüber dem Gott, der uns ohne unser Verdienst erlöst hat, und letztlich auch der Liebe gegenüber unserem Nächsten.
So konnte Luther über die Gläubigen schreiben, dass auch ihre scheinbar weltlichen Werke ein Lobpreis und ein Gott wohlgefälliger Gehorsam sind. Er fragt, warum wir uns nicht aus freien Stücken und mit einem fröhlichen Herzen unserem Nachbarn als ein Christus hingeben sollten, so wie Christus sich selbst als Christus angeboten hat, da wir ja durch den Glauben alle Dinge in Fülle haben. Da wir die Dinge, die andere Menschen durch ihre Arbeit bekommen wollen – Erlösung, Selbstwert, ein gutes Gewissen und inneren Frieden – in Christus ja schon haben, können wir nun einfach arbeiten, weil wir Gott und unsere Mitmenschen lieben. Dies ist ein freudiges Opfer, eine Begrenzung, die uns freimacht.
Dies bedeutet ironischerweise auch, dass Christen, die diese biblische Sicht der Arbeit begriffen haben, diejenigen sein sollten, die die Arbeit ihrer nicht-christlichen Zeitgenossen am meisten schätzen.
Wir wissen, dass wir allein durch Gnade gerettet sind, und daher sind wir nicht bessere Väter oder Mütter, Künstler oder Geschäftsleute als die Menschen, die unseren Glauben nicht teilen. Unsere am Evangelium geschulten Augen sehen überall in der Welt die Herrlichkeit des Wirkens Gottes, der durch die Menschen wirkt, die er erschaffen und berufen hat, von dem schlichten Melken einer Kuh bis hin zu den brillantesten künstlerischen oder historischen Leistungen.Diese revolutionäre Sicht von der Arbeit gibt aller Arbeit einen gemeinsamen und hohen Sinn: Gott zu ehren, indem ich durch meine Arbeit meinen Nächsten liebe und ihm diene.
Egal, ob Sie Strafzettel, Software oder Bücher schreiben, die beste Methode, Ihren Nächsten zu lieben, könnte darin bestehen, dass Sie schlicht Ihre Arbeit machen. Aber Sie sollten sie gut und kompetent machen.
Timothy Keller mit Katherine Leary Alsdorf, Berufung – Eine neue Sicht für unsere Arbeit, 4. Auflage 2022, Brunnen Verlag