Was geschieht mit einem Menschen, der eine verborgene Schuld trägt? Nathaniel Hawthrone zeigt im Roman „Der scharlachrote Buchstabe“ genau dies eindrücklich. Arthur Dimmesdale, der hoch angesehene Pfarrer der puritanischen Gemeinschaft, trägt eine verborgene Schuld in seinem Herzen. Im Verlauf der Geschichte zeigt sich, wie sehr Dimmesdale diese Schuld quält. Er findet keine Ruhe und versucht sein Gewissen doch durch unterschiedliche Handlungen zu beruhigen.
Am liebsten würde er alles bekennen:
Er sehnte sich, von seiner Kanzel herab mit voller Kraft seiner erhobenen Stimme zu sprechen und dem Volke zu sagen, was er sei. »Ich, den ihr in diesen schwarzen Priestergewändern erblickt, ich, der ich zu der geheiligten Kanzel emporsteige und mein blasses Gesicht gen Himmel kehre und es auf mich nehme, für euch mit dem Höchsten, dem Allwissenden in Verbindung zu treten, ich, in dessen täglichem Leben ihr die Frömmigkeit eines Henoch erblickt, ich, dessen Schritte, eurem Glauben nach, auf meinem irdischen Pfade einen Schimmer zurücklassen, welcher die nach mir kommenden Pilger nach den Regionen der Seligen führen wird, ich, der ich die Hand der Taufe auf eure Kinder gelegt habe, ich, der ich das letzte Gebet über eure sterbenden Freunde gehaucht habe, denen das Amen nur noch schwach aus einer Welt, die sie verlassen hatten, nachklang, ich – euer Pastor, den ihr so verehrt und dem ihr so innig vertraut, bin nichts als Moder und Lüge!«
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Doch kann er sich nicht dazu durchringen. Sein großes Ansehen steht ihm im Weg. Er versucht es mit Selbstkasteiung:
Seine innere Unruhe trieb ihn zu Gebräuchen, die eher mit dem alten, verderbten Glauben Roms im Einklang standen als mit dem helleren Licht der Kirche, in welcher er geboren und erzogen war. In Dimmesdales Schlafgemach befand sich unter Schloß und Riegel eine blutige Geißel. Oftmals hatte sie der protestantische und puritanische Geistliche gegen seine eigenen Schultern geschwungen und dabei bitter über sich selbst gelacht und wegen eben jenes bittern Lachens um so unbarmherziger zugeschlagen. Er hatte überdies die Gewohnheit zu fasten wie so viele andere fromme Puritaner, aber nicht, um, wie sie, den Körper zu höherer Reinheit zu führen und ihn zu einem passendem Gegenstand himmlischer Erleuchtung zu machen, sondern als einen strengen Akt der Buße, und bis seine Knie unter ihm zitterten. Dann hielt er eine Nachtwache um die andere, zuweilen in völliger Finsternis, zuweilen bei einer schwach schimmernden Lampe und mitunter vor einem Spiegel, in dem er sein eigenes Gesicht bei dem stärksten Lichte, welches er darauf werfen konnte, betrachtete. Auf diese Weise versinnbildlichte er die beständige Selbstschau, womit er sich folterte, aber sich nicht zu reinigen vermochte.
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Er findet keinen Frieden:
Nach einer Weile heftete der Geistliche seine Augen auf die Esther Prynnes.
»Esther«, sagte er, »hast du Frieden gefunden?«
Sie lächelte trüb und blickte auf ihren Busen hinab.
»Und du?« fragte sie.
»Keinen. Nichts als Verzweiflung«, antwortete er. »Was konnte ich, der ich bin, was ich bin, und ein Leben, wie das meine führe, anders erwarten? Wäre ich ein Atheist, ein Mensch ohne Gewissen, ein Bösewicht mit rohen Instinkten, so würde ich längst schon vielleicht Frieden gefunden haben, ja, ich hätte ihn nie verloren. Wie aber die Sachen mit meiner Seele stehen, so ist alles, was ich ursprünglich an guten Fähigkeiten besaß, jede herrliche Gabe Gottes zum Diener der geistigen Qual geworden. Esther, ich bin überaus elend.«
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Die Bibel berichtet uns ebenfalls von einem Mann, der seine Schuld im Verborgenen halten wollte. Es geht um König David. In Psalm 32 beschreibt er, wie es ihm dabei erging:
Als ich es verschwieg, da verfielen meine Gebeine durch mein Gestöhn den ganzen Tag. Denn deine Hand lag schwer auf mir Tag und Nacht, so dass mein Saft vertrocknete, wie es im Sommer dürr wird. Psalm 32,3-4
Das Verschweigen der Schuld wirkte sich auf den körperlichen Zustand Davids aus. Sein Körper litt unter der verborgenen Schuld. Er konnte nicht mehr froh aufblicken, die Schuld drückte ihn nieder.
Was brachte David Erlösung?
Da bekannte ich dir meine Sünde und verbarg meine Schuld nicht; ich sprach:“Ich will dem Herrn meine Übertretungen bekennen!“ Der vergabst du mir meine Sündenschuld. Psalm 32,5
Der Ausweg aus der Krise ist das Bekennen der Schuld. Und dann geschieht das Wunderbare: Gott vergibt die Schuld. Er nimmt die Last, die so schwer auf den Menschen liegt, weg. Das Herz wird ruhig, es kehrt Frieden ein. Es herrscht wieder Freude:
Freut euch an dem HERRN und sei fröhlich, ihr Gerechten, und jubelt alle, die ihr aufrichtigen Herzens seid! Psalm 32,11
Welch ein großer Unterschied zwischen dem David, der von Schuld niedergedrückt ist und dem David, dem Gott vergeben hat. Ein Unterschied wie Tag und Nacht. Das ist die Kraft der Vergebung, die Gott schenkt. Sie krempelt das Leben um, sie macht froh und frei.