Tote und Lebende

Vor kurzem las ich das Buch „…und ihr sollt auch leben“ von Siegfried Kettling. Wertvolle Gedanken äußert er zu Römer 14,9:

Kyrios ist er nun, Herr. Und weil das gilt, bekommt nun alles sein Maß, sein Ziel von ihm her. Alles definiert er neu. Was Leben und was Tod bedeutet, das versteht sich nun nicht mehr von selbst oder irgendwoher (z.B. biologisch: Leben ist, wo Tod noch nicht ist. Tod ist, wo Leben nicht mehr ist). „Wer den Sohn hat, der hat das Leben; wer den Sohn Gottes nicht hat, der hat das Leben nicht“ (1. Joh. 5,12).

Verbindung mit diesem Herrn zu haben, das heißt Leben – von ihm abgeschnitten zu sein, das heißt Tod. Menschen voll blühender Gesundheit und höchster Aktivität – sie können Tote sein. Und Tote, deren Leiber längst verwesten – sie leben durch ihn. Beunruhigende Definition: Tote mitten im Leben, Lebende mitten im Tod! Aufscheuchende Frage: Ich, ich Lebender, lebe ich wirklich? Überraschende Perspektiven: „dass wir aus dem Tod in das Leben gekommen sind…“ (1. Joh. 3,14). Dabei haben wir immer gemeint, das Gefälle der Einbahnstraße müsste lauten: Vom Leben in den Tod. Doch der Herr über Tote und Lebendige läßt mich andersherum fragen: Bin ich noch tot oder schon lebendig? Vom Tod ins Leben, so definiert dieser Herr neu.

„Tod“ heißt demnach das Land, in dem wir Menschen immer schon wohnen, die Existenzweise, in der wir uns von Geburt her befinden. Leben ist dann der neue Raum, in den wir hineingesetzt werden. Wir werden in dieses Leben buchstäblich „ver-rückt“, werden „umgetopft“,erfahren eine Transplantation. Wer den Sohn Gottes hat, wer in seiner Herr-schaft wohnt, lebt!

Ob biologisch lebendig (noch auf dem Bindestrich sich befindend) oder biologisch tot (schon jenseits des zweiten Eckdatums unseres Lebens) – was tut’s, was macht das schon aus: Wir sind des Herrn! Unterwegs auf den Tag zu, an dem er alles neu macht. Da wird die alte Schöpfung, die Welt voller Tränen, voller Leid, Geschrei und Schmerz aufgehoben („und der Tod wird nicht mehr sein“ Offb. 21,4) und zugleich vollendet, ans Ziel gebracht. Dann hat der Herr über Tote und Lebendige nicht nur alles neu definiert, sondern alles wahrhaft neu gemacht.



Kettling, …und ihr sollt auch leben!: Mit Christus in die Weite, 6. Aufl. Neuhausen-Stuttgart: Hänssler-Verlag, 1995, S. 161-162.