Gottes Wort und Autorität

Wenn man in der heutigen westlichen Gesellschaft über Autorität spricht, sträuben sich bei manchen Zeitgenossen die Nackenhaare. Autorität wird heute kritischer gesehen, als dies noch vor einem Jahrhundert der Fall war, vieles wird stärker hinterfragt und wenig einfach übernommen. Teilweise versucht man auch vieles einzuebnen und alle gleichberechtigt auf Augenhöhe zu sehen. Vielleicht wird dies nirgendwo so deutlich, wie bei der Eltern-Kind-Beziehung und dem Konzept der antiautoritären Erziehung. Hier soll den Kindern möglichst viel Freiraum gelassen werden, die Eltern sind nicht mehr Autoritätspersonen, sondern Begleiter und Berater der Kinder. Die hierarchische Familienstruktur wird hier aufgehoben.

Auf der anderen Seite wurde während der Corona-Krise deutlich, wie stark Menschen Autoritäten akzeptieren und ihnen folgen. Die Virologen waren in dieser Zeit die Experten, auf die der größte Teil der Bevölkerung hörte und fast blind folgte. Interessanterweise wurde in dieser Zeit wenig kritisch hinterfragt und vieles ungefiltert übernommen und umgesetzt. Generell hat die Wissenschaft heute so ziemlich die höchste Autorität. Wer kennt nicht die Aussage „Die Wissenschaft hat bewiesen, dass…“?

Autoritäten spielen also nach wie vor für Menschen eine große Rolle, die Frage ist nur, welche Autoritäten der Einzelne akzeptiert und welcher Autorität die höchste Stellung eingeräumt wird. Auch im Christentum wurde und wird diese Frage bewegt. Luther ist hier wahrscheinlich das berühmteste Beispiel. Die katholischen Kirche genoss damals die höchste Autorität. Wenn sie etwas sagte, dann wurde dies für bare Münze genommen. Sie stellte die Tradition der biblischen Autorität gleich und beansprucht für sich Träger der mündlichen, apostolischen Überlieferung zu sein. Nun kam Luther durch das Studium der Bibel zu der Erkenntnis, dass die katholische Kirche an einigen ganz entscheidenden Stellen irrte und die Schrift verdrehte. Für Luther war eins klar: die Kirche steht nicht neben der Schrift und schon garnicht über ihr, sondern muss sich ihr beugen. Die höchste Autorität hat somit allein das Wort Gottes. Dies fasste Luther in der kurzen, berühmten Formel „Sola Scrpitura“, also „allein die Schrift“ zusammen, d.h. die Schrift ist als Quelle der göttlichen Offenbarung einzigartig. Nur durch sie erfahren wir, wer Gott ist, wer wir Menschen sind und was sein Wille für den Menschen ist.

Ein zweite Hauptaussage von „Sola Scriptura“ ist, dass sie in ihrer normativen Autorität einzigartig ist. Luther nannte die Bibel die alles normende Norm, die nicht genormt werden kann. Es gibt demnach keine Norm die über der Schrift steht, sie ist die höchste Instanz. Sie ist für die Lehre in der Gemeinde entscheidend, sie ist der Maßstab um gesunde Lehre zu erkennen, sie ist für den Christen bindend und wegweisend. Sie ist grundlegend für die Lehre über Gott und den Menschen. Dementsprechend formulierten die Verfasser der Berner Thesen im zweiten Artikel:


Die Kirche Christi macht nicht Gesetze und Gebote ohne Gottes Wort. Deshalb binden alle Menschensatzungen, die man Kirchengebote nennt, uns nicht weiter, als sie im göttlichen Wort begründet und geboten sind.


Oder im Hugenottenbekenntnis von 1559 (Confessio Gallicana) in Artikel 4:


Wir erkennen diese Bücher als allein maßgeblich an und als allergewisseste Richtschnur unsres Glaubens (Ps 12.7; Ps 19.8-9): nicht so sehr das durch die allgemeine Übereinkunft und Übereinstimmung der Gemeinde, als durch das Zeugnis und die inwendige Überzeugung des Heiligen Geistes, der sie uns von den andern kirchlichen Büchern unterscheiden läßt, auf die man, wenn sie schon nützlich sind, keinen Glaubensartikel gründen kann.

Die Reformatoren bezeugen diese Tatsache einhellig: Das Wort Gottes hat die höchste Autorität.

Grudem schreibt in seiner biblischen Dogmatik:


Die Autorität der Bibel bedeutet, dass alle Worte in der Heiligen Schrift in einer solchen Weise Gottes Worte sind, dass der Unglauben an ein oder der Ungehorsam gegenüber einem Wort der Heiligen Schrift gleichbedeutend mit Unglauben oder mit Ungehorsam Gott gegenüber ist.

Grudem, W. (2013). Biblische Dogmatik: Eine Einführung in die Systematische Theologie. (V. Jordan, Übers.) (Bd. 29, S. 81). Bonn; Hamburg: VKW; arche-medien.

Die Bibel enthält nicht nur das Wort Gottes, sondern ist vollkommen Gottes Wort und kann nicht vom Willen Gottes getrennt werden. Gott selbst spricht hier und offenbart sich, dementsprechend ist sie in ihren Aussagen irrtumslos, unfehlbar und erhebt den Anspruch, höchste Autorität zu sein. Sie ist letztgültige Wahrheit, an der sich alle anderen Wahrheiten messen lassen müssen. In seinem hohepriesterlichen Gebet stellt Jesus das Wesen des Wortes heraus: Heilige sie in deiner Wahrheit! Dein Wort ist Wahrheit. Joh. 17,17.

Als die Apostel vor dem Hohen Rat standen, kam es zu einem Konflikt der Autoritäten. An dieser Stelle wandten sie das Prinzip an, dass Gott und sein Wort über der menschlichen Autorität steht. Aber Petrus und die Apostel antworteten und sprachen: Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen! Apg. 5,29 Für die Apostel war eindeutig klar, das sich die geistlichen Autoritäten der Autorität Gottes unterordnen müssen. Woher waren sich die Apostel eigentlich so sicher, dass die Aufforderung des Sanhedrin dem Willen Gottes zuwider lief? Jesus hatte gesprochen und sie erinnerten sich an seine Worte und seinen Auftrag, außerdem waren sie davon überzeugt, dass Jesus Christus tatsächlich der Sohn Gottes und im Auftrag des Vaters auf die Erde kam. So stand für sie fest, das sie vor allem Gott und seinem Wort gehorchen und danach alle anderen Autoritäten kommen.

Genau das stellen die Autoren der Chicago Erklärung zur Irrtumslosigkeit der Bibel in Artikel 2 heraus:

Wir bekennen, dass die Bibel die oberste geschriebene Norm ist, durch die Gott das Gewissen bindet, und dass die Autorität der Kirche derjenigen der Bibel untergeordnet ist.

Wir verwerfen die Auffassung, dass kirchliche Bekenntnisse, Konzilien oder Erklärungen eine der Bibel ebenbürtige oder gar höhere Autorität hätten.

Mit dem 2. Artikel ist nicht gesagt, dass es außer der Schrift keine weiteren Autoritäten gibt, sondern nur, dass diese der Schrift untergeordnet sind. Das Wort Gottes spricht über weitere Autoritäten, wie die Regierung, die Eltern, die Hirten in der Gemeinde oder die Arbeitgeber. Diese Autoritäten werden in der Bibel nicht verworfen, sondern gestärkt. Sie stehen allerdings alle unter der Schrift und nicht neben oder gar über ihr.

Dabei ist zu beachten, dass jede menschliche Autorität ihren Autoritäts- oder Kompetenzbereich hat. Arbeitgeber regeln Fragen, die den Arbeitsplatz betreffen, Eltern sind in der Familie verantwortlich usw. Hier bewegen sich die Autoritäten in ihrem Rahmen. Der Staat kann den Christen bspw. nicht vorschreiben, wie ihr Abendmahl auszusehen hat. Der Arbeitgeber kann Eltern nicht vorschreiben, was sie ihren Kindern zu essen geben. Die Hirten der Gemeinde können nicht vorschreiben, welche Farbe die Tapete in der Wohnung haben sollte. Wenn dies doch geschieht, handelt es sich um eine Kompetenzüberschreitung.

Im speziellen möchte ich an dieser Stelle auf die Hirten in der Gemeinde eingehen. Sie stehen unter der Autorität der Schrift und haben nur unter ihr und von ihr, ihre eigene abgeleitete Autorität. Sie sind an das Wort Gottes gebunden und bewegen sich in diesem Rahmen. Ihre Aufgabe ist zu sagen, was Gott sagt. Um es ganz deutlich zu sagen: Die Schrift gibt ihnen keine Vollmacht neben der Schrift weitere Gebot einzuführen und die Einhaltung einzufordern. Leider ist genau dieses Problem immer wieder anzutreffen, dass Menschengebote errichten werden und einen Status erhalten, der dem Wort Gottes ebenbürtig ist. Häufig versucht man dies auch mit der Schrift zu begründen, ohne überzeugende Argumente zu haben. Menschengebote können per Definition nicht mit der Schrift begründet werden, weil sie eben Menschengebote sind. Natürlich lässt sich trefflich darüber streiten, was Menschengebote sind und was nicht. Ein wichtiger Indikator ist, wenn die Begründungen schwammig formuliert werden und beim tieferen Bohren deutlich wird, dass es letztlich um eine Meinung geht. Zwei konkrete Beispiele: Wenn in der Gemeinde z.B. das Tragen von roten Kleidungsstücken verboten wird, weil dies die Farbe der leichtfertigen Frauen sei, dann liegt hier ein Menschengebot vor. Wenn der Pferdeschwanz verboten wird, mit der Begründung, dass dies der halbe Weg zu den offenen Haaren sei, so liegt hier eine menschliche Meinung vor und keine biblisch begründete Argumentation. Damit geht man über die Schrift hinaus (1. Kor. 4,6) und missachtet die Aufforderung Gottes (1. Pet. 4,10-11). Letztlich wird damit die Autorität des Wortes Gottes untergraben, weil die Menschengebote letztlich auf die gleiche Stufe mit der Schrift gestellt werden. MacArthur schreibt:


Neben der Schrift und dem innewohnenden Heiligen Geist braucht der Gläubige keine zusätzliche Offenbarung, die sagt, wie er das christliche Leben führen soll. Christus schenkt zwar Hirten und Lehrer um im Prozess geistlichen Wachstum hin zur geistlichen Reife zu unterstützen, aber selbst ihre Dienste gründen sich auf und beziehen ihre Anweisungen aus dem genugsamen und völlig ausreichenden Wort Gottes

MacArthur, Biblische Lehre, 143.

In Hebräer 13,7 heißt es: Gedenkt an eure Führer, die euch das Wort Gottes gesagt haben; schaut das Ende ihres Wandels an und ahmt ihren Glauben nach! Das was hier die Führer charakterisiert ist, dass sie nicht ihre eigenen Gedanken und Vorstellungen weitergeben, sondern das Wort Gottes.

Ein weiterer Aspekt der Autorität der Schrift ist, dass sie für den einzelnen Christen der Maßstab ist, um das von menschlichen Autoritäten gesagte und geforderte zu prüfen. Autoritäten können irren oder gottlos sein, sodass es hier zu einem Konflikt mit dem Wort Gottes kommen kann (siehe weiter oben das Beispiel mit den Aposteln vor dem Hohen Rat). Die Schrift hingegen irrt nie und ist deshalb absolut zuverlässig und vertrauenswürdig. Die Bibel warnt an vielen Stellen vor Irrlehrern und zwar nicht nur von außen, sondern auch von innen (Apg. 20,30). Erkannt werden können sie dann, wenn das Wort Gottes als der absolute Maßstab an ihre Lehren angelegt wird. Lassen sich die Lehren anhand der Schrift nachprüfen? Decken sie sich mit dem was die Schrift sagt? Fügen sie der Schrift etwas hinzu oder nehmen sie etwas weg? Das sind Fragen, die hier angebracht sind.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass für Christen die Bibel die höchste Autorität hat. Sie ist unfehlbar und irrtumslos und damit absolut vertrauenswürdig. Sie ist die Norm, die nicht genormt werden kann und alle anderen Normen normt. Sie ist der Maßstab, der zur Prüfung einer Lehre angelegt wird und die Quelle christlicher Ethik. Sie ist für das Leben als Christ völlig ausreichend und gibt vollständig Aufschluss, was der Wille Gottes ist.