Apostelgeschichte 20,33-35
Silber oder Gold oder Kleidung habe ich von niemand begehrt; ihr wisst ja selbst, dass diese Hände für meine Bedürfnisse und für diejenigen meiner Gefährten gesorgt haben. In allem habe ich euch gezeigt, dass man so arbeiten und sich der Schwachen annehmen soll, eingedenk der Worte des Herrn Jesus, der selbst gesagt hat: Geben ist glückseliger als Nehmen!
Paulus legt hier dar, wie er sich verhalten hatte, als er den Christen in Ephesus diente. Er forderte von niemandem Unterstützung, obwohl er sehr viel Zeit in seinen Dienst investierte. Er verkündete das Evangelium, stärkte Christen in ihrem Glauben und belehrte sie in Bezug auf Jesus Christus. Teilweise führte dies dazu, dass er in der Nacht seiner Tätigkeit als Zeltmacher nachging, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten (1. Thess. 2,9). Dabei hat er nicht nur für sich selbst gesorgt, sondern auch noch für seine Gefährten (V. 34). Er selbst war von den Worten Jesu „Geben ist glückseliger als Nehmen!“ zutiefst überzeugt, deshalb war sein Leben auch vom Geben geprägt. Paulus tat dies alles nicht, um von anderen gelobt und geachtet zu werden. Er tat dies auch nicht, um sich für die neue Erde eine Belohnung zu erarbeiten. Er tat es für Jesus, weil er ihn so sehr liebte und ihm gerne folgte. Aus den Briefen des Paulus spricht eine große Freude, die davon zeugt, dass sich die Worte Jesu in seinem Leben bestätigt haben. Die Worte Jesu waren für ihn keine Frömmigkeitsformel, sondern Lebensrealität.
Heute wird in der westlichen Kultur die genau entgegengesetzte Botschaft verkündet: „Nehmen ist glückseliger als Geben!“. Ein deutliches Beispiel dafür ist die Spaßgesellschaft. Der Spaß und der Genuss im Leben stehen im Vordergrund. Es geht darum, möglichst viel aus dem eigenen Leben herauszuholen, möglichst viel zu erleben und einfach nur Spaß zu haben. Die Werbung folgt diesem Denken und suggeriert uns ständig: „Wenn du diese Sache hast, dann wirst du glücklich sein!“ Das Glück wird heute also vor allem mit dem Nehmen verbunden.
Dieses Denken durchdringt gesellschaftliche Bereiche, wie Familie oder Arbeitsstelle. Wenn es früher darum ging eine dienende Haltung zu kultivieren, so steht heute der eigene Vorteil und das eigene Wohl im Vordergrund. Die westliche Gesellschaft wandelte sich in den vergangenen 200 Jahren von einer kollektivistischen zu einer individualistischen Gesellschaft. Früher stand die Familie, die Gemeinschaft, der Stamm, das Volk im Mittelpunkt und es ging darum diese zu stärken und zu fördern. Die Menschen nahmen normalerweise eine gebende Haltung ein, da sie einer übergeordneten Sache dienten und sich dieser unterstellten. Heute steht das Individuum mit seinen Wünschen, Gefühlen und Vorstellungen im Zentrum.1 Die Haltung ist nun eine Nehmende. Die westliche Gesellschaft nahm also viele Jahrhunderte hindurch eine gebende Haltung ein, die sicherlich sehr stark auf den Einfluss des Christentums zurückzuführen ist. Je mehr die Aufklärung und Befreiung von Gott voranschritt, desto stärker wurde die Individualität betont und damit der Schwerpunkt vom Geben auf das Nehmen verschoben.
Eine weitere Spielart des Nehmens ist die „kalkulierte Gebermentalität“. Vordergründig gibt sie, doch ist das anschließende Nehmen einkalkuliert und Teil des Plans. In der Bibel sind die Pharisäer dafür ein Beispiel. Sie waren auf ihren eigenen Vorteil aus und rechneten sich aus, was für sie rausspringen würde, wenn sie anderen gaben. Ein wichtiger Antrieb war für sie die Anerkennung, die sie von den Menschen erhielten. Auch heute ist dies natürlich anzutreffen, wenn bspw. Unternehmen oder Einzelpersonen öffentlichkeitswirksam für einen guten Zweck spenden. Sie machen dies häufig mit dem Gedanken, dies für sich positiv zu verwerten.
Das ist nicht das, was Jesus gemeint und Paulus praktiziert hat. Es geht vielmehr um ein Geben, welches von sich selbst wegsieht und dem anderen dient. Keine Hintergedanken, sondern Liebe und Aufopferung sind das Motiv. Jesus sagt also, dass diese Art von Geben zum Glücklichsein führt. Ich bin davon überzeugt, dass die Worte Jesu nach wie vor aktuell und gültig sind. Das ständige Nehmen macht uns nicht glücklich. Anders sieht es aus, wenn wir uns für andere hingeben und aufopfern. Ich möchte hier die Familie und Ehe herausgreifen, weil ich dort die Wahrheit der Worte Jesu am deutlichsten erkenne.
Früher, vor allem als Kind freute ich mich auf Weihnachten, weil ich von meinen Eltern Geschenke erhielt. Heute freue ich mich u.a. auf Weihnachten, weil wir unsere Kinder beschenken dürfen und dabei an ihrer Begeisterung und Freude Anteil nehmen. Auch sonst sind wir als Eltern sehr stark in der Position des Gebers. Wir investieren viel in unsere Kinder, um sie auf das Leben vorzubereiten, um ihnen ein tragfähiges Fundament mitzugeben usw. Natürlich kostet dies viel Kraft und Mühe, doch es macht gleichzeitig glücklich. Auch in der Ehe stelle ich fest, dass das Geben tatsächlich glücklich macht. Es macht mich richtig froh, wenn ich sehe, wie sehr meine Frau sich darüber freut, wenn ich ihr diene. Diese Haltung führt dazu, dass die Ehe gestärkt wird und die Liebe zu dem Ehepartner wächst. Die Ausrichtung auf den anderen macht die Ehe schöner und glücklicher.
Die Worte Jesu waren für mich in der vergangenen Woche eine große Ermutigung. Sie ermutigen mich dazu, von dem modernen „Evangelium“ des Nehmens wegzusehen und stattdessen dem echten Evangelium zu folgen. Diese Worte sind befreiend. Sie befreien mich von dem Wunsch, ständig auf mich selbst zu sehen und den eigenen Vorteil im Blick zu haben. Sie öffnen meinen Blick für meinen Nächsten und machen die Handlungen bedeutend und wertvoll. Und genau das wünschen wir uns doch alle. Wir wollen etwas tun, was Bedeutung hat. Das Schöne ist, dass wir als Christen wissen dürfen, dass unsere Taten nicht nur für dieses Leben, sondern auch für das Zukünftige von Bedeutung sind. Was wir für Jesus tun, hat bleibenden Wert und macht tatsächlich glücklich.
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1Siehe auch Der psychologische Mensch oder expressiver Individualismus