Und nun siehe, das Geschrei der Kinder Israels ist vor mich gekommen, und ich habe auch ihre Bedrängnis gesehen, wie die Ägypter sie bedrücken. So geh nun hin! Denn ich will dich zu dem Pharao senden, damit du mein Volk, die Kinder Israels, aus Ägypten führst! Mose aber sprach zu Gott: Wer bin ich, dass ich zum Pharao gehen und dass ich die Kinder Israels aus Ägypten führen sollte?
2. Mose 3,9-11
In dieser Serie betrachte ich Mose aus der Führungsperspektive. Im ersten Teil dachte ich bereits über einige Eigenschaften Moses nach. In diesem Beitrag möchte ich auf zwei Kennzeichen zu sprechen kommen, die wahrscheinlich wie keine andere das Leben Moses geprägt haben und die eine Führungskraft ausmachen.
Mose befindet sich seit ca. 40 Jahren in Midian und erhält nun am Berg Horeb Gottes Befehl: Er soll nach Ägypten zurückgehen und das Volk Israel herausführen. Die Antwort Moses an Gott, in einer Frage formuliert, ist bemerkenswert: „Wer bin ich?“ Als Mose 40 Jahre früher den Streit zweier Hebräer schlichten wollte, wurde er noch von einem der beiden gefragt: „Wer hat dich zum Obersten und Richter über uns gesetzt?“ (2. Mose 2,14). Damals sah er sich als ein Anführer, nun aber nicht mehr. Jetzt hatte er gegenüber Gott einiges vorzubringen, was seiner Berufung als Führer entgegenstand (2. Mose 4,1.10). Bis zum Schluss wehrte er sich gegen den Auftrag Gottes: „Ach, Herr! Sende doch, wen du senden willst!“ (2. Mose 4,13).
In Midian war Mose in der Schule Gottes und hatte nun einen veränderten Charakter. Er war nicht mehr der vorschnelle Anführer, der seinem Volk eigenmächtig helfen wollte. Er schätzte seine Fähigkeiten nun realistisch ein. Er hatte großen Respekt vor der Aufgabe, das Volk aus Ägypten herauszuführen und er traute sich dies nicht zu. Mose war nun ein demütiger Mann. Demut bedeutet, sich selbst zu sehen, wie es der Wirklichkeit entspricht. Es bedeutet, seine Stärken und Schwächen zu erkennen und sie richtig einzuordnen. D.h nicht mehr von sich zu halten, aber auch nicht weniger als man in Wirklichkeit ist. Manchmal wird Demut damit verwechselt, sich selbst als möglichst klein und unbedeutend zu sehen. Doch das ist keine Demut, das ist Selbstbetrug. Das, was Demut ausmacht, ist eine realistische Sicht auf sich selbst. Gott hat jeden sowohl mit Gaben, als auch mit Grenzen ausgestattet (hier habe ich darüber nachgedacht). Diese gilt es zu erkennen.
Mose hatte das gelernt. Er war sich seiner schweren Zunge bewusst (2. Mose 4,10) und seiner Unfähigkeit, das Volk zu führen (2. Mose 3,11). Mose reifte in Midian von einem sich selbst überschätzenden zu einem demütigen Mann. Dies ist eine wertvolle Eigenschaft einer Führungsperson. Leiter mit diesem Merkmal meinen nicht, dass sie die Besten weit und breit sind. Sie schätzen sich selbst richtig ein und haben kein Problem damit, dass andere sie in bestimmten Disziplinen überflügeln. Sie können solche Menschen einbinden und ihnen wichtige Aufgaben übertragen, sodass alle davon profitieren. Sie müssen nicht alles an sich reißen um irgendwo gesehen und bewundert zu werden. Sie sind auch nicht daran interessiert, ihren Stolz zu nähren. Das führt mich zu einem weiteren Merkmal Moses.
Mose wollte nicht mehr mit aller Macht in eine Führungsposition. Den Zahn hatte Gott ihm gezogen. Ganz im Gegenteil, er suchte nach Gründen um den Auftrag Gottes nicht ausführen zu müssen. Seine Ziele waren nicht darauf gerichtet, groß raus zu kommen und ganz vorne zu stehen. Er riss sich nicht darum, Anweisungen zu geben und zu belehren. Diese Haltung behielt er Zeit seines Lebens bei. Als andere ihn später als Anführer infrage stellten, konnte er ruhig bleiben. Er klammerte sich nicht mit aller Macht an seinen Sitz und kämpfte auch nicht darum, der Führer zu bleiben. Gott hatte ihn berufen und kämpfte für ihn. Der Grundstein für diese Einstellung wurde in Midian gelegt und prägte ihn von da an. Dies ist eine weitere gute Eigenschaft eines Leaders. Er drängt sich nicht selbst in den Vordergrund und versucht nicht, an die Spitze zu kommen. Nein, andere erkennen sein Potential zum Führen und beauftragen ihn.
Mose war als Persönlichkeit gewachsen. Gott hatte ihn verändert und konnte ihm nun eine große Aufgabe anvertrauen: Die Führung des Volkes.