Dualismus


Aktuell lese ich das Buch „Liebe deinen Körper“ von Nancy Pearcey. Ein fundamentales Konzept, welches die Autorin in ihrem Buch vorstellt, ist der Dualismus. Diese Weltsicht nimmt eine Schlüsselrolle in der Argumentation von Pearcey ein, um aufzuzeigen,das Themen wie Abtreibung, Euthanasie, Homosexualität, beziehungsloser Sex und Transgender nur auf dem Boden des dualistischen Konzepts so florieren können. Den meisten Menschen ist dabei garnicht bewusst, dass sie einer dualistischen Weltsicht folgen, es ist Teil des sozialen Vorstellungsschemas.

Der Begriff Dualismus beschreibt eine Weltanschauung, die die Wirklichkeit in zwei unterschiedliche Bereiche aufteilt. Ein klassisches Beispiel ist die Aufteilung in Gut und Böse. Im Dualismus werden Dinge voneinander getrennt und als gegensätzlich oder voneinander unabhängig dargestellt. Francis Schaeffer hat z.B. aufgezeigt, dass die dualistische Weltsicht heute auf die Wahrheit angewandt wird. Er verwendete dafür die Metapher eines zweistöckigen Gebäudes. Im unteren Stockwerk wird die empirische Wissenschaft angesiedelt, die auf Fakten und überprüfbaren Tatsachen beruht. Hier sind die öffentlichen Wahrheiten angesiedelt, die von jedem akzeptiert werden sollen, unabhängig von seinem privaten Glauben. Im oberen Stockwerk ist die Moral und sind die Werte angesiedelt. Sie sind privat, subjektiv und relativ. Hier gilt der Spruch: „Du hast deine Wahrheit und ich habe meine Wahrheit“.1

Pearcey zeigt auf, dass diese Trennung auch in anderen Bereichen Anwendung findet. In ihrer Einführung beschreibt sie, wie sie das Konzept Schaeffers übernahm und mit der Zeit entdeckte, dass die dualistische Weltsicht in viel mehr Bereichen vorherrscht, als sie zunächst annahm. Da ist zum einen die moderne Philosophie, die in zwei Hauptströme unterteilt werden kann. Der erste Strom ist der Strom der Aufklärung, der sich auf dem Boden der Wissenschaft und Fakten sieht (Erdgeschoss) und mit den „Ismen“ Rationalismus, Empirismus, Materialismus und Naturalismus beschrieben werden kann. Der zweite Strom ist die Romantik, die als Gegenreaktion zur Aufklärung entstand. Den Romantikern ging es darum, die Werte aufrechtzuerhalten (Obergeschoss). Sie beschäftigten sich mit Fragen der Gerechtigkeit, Freiheit und Moral. Auch sie prägten „Ismen“, wie den Idealismus, Marxismus, Existenzialismus und die Postmoderne. Nach Pearcey können diese beiden Denkrichtungen grob mit den Begriffen Moderne versus Postmoderne zusammengefasst werden. Die Moderne ist mit ihrer faktenbasierten Wissenschaft im Erdgeschoss angesiedelt, die Postmoderne mit ihren Werten im Obergeschoss.

Diese philosophische Aufspaltung ist grundlegend und wirkt sich auf viele Themenbereiche aus, u.a. auf die Moral und den Menschen. Das dualistische Denken hat die Sicht auf den Menschen verändert und ihn in zwei Bereiche aufgespalten: den Körper (Erdgeschoss) und die Person (Obergeschoss). Der Körper wird als entbehrlicher, biologischer Organismus gesehen, der im Vergleich zur Person nur einen geringen Wert hat. Die Person hingegen, mit ihrem moralischen und rechtlichen Stand, ist von großer Bedeutung. Dieses Konzept wird als „Personschafts-Theorie“ bezeichnet und spaltet den Menschen auf. Diese Theorie bildet den Schlüssel zum Verständnis der umstrittenen Fragen, die gegenwärtig im Bezug auf den Menschen diskutiert werden, wie Abtreibung, Euthanasie, Transgender-Ideologie, Homosexualität und freizügiger Sex. Alle diese Fragen haben die Personschafts-Theorie als Grundlage und werten den Körper des Menschen ab und erachten nur die Person als wertvoll.

Diese Trennung ist für die erwähnten Themenbereiche von entscheidender Bedeutung, da diese Praktiken nur auf dem Hintergrund der dualistischen Weltanschauung gerechtfertigt werden können (auch wenn die Argumente dafür mehr als dürftig sind und keine wissenschaftliche Basis haben). Mit anderen Worten: Diese Theorie bildet die Grundlage dafür, um das eigene Gewissen zu beruhigen. Und Beruhigung ist tatsächlich notwendig, da millionenfach ungeborenes Leben ausgelöscht wird, alte und behinderte Menschen „Hilfe“ beim Sterben erhalten, und der freizügige, beziehungslose Sex weithin praktiziert wird. Am Beispiel der Abtreibung möchte ich kurz erklären, wie argumentiert wird. Der Fötus wird als rein biologischer Körper definiert, der noch keine Person ist. Das ungeborene Leben kann also ruhig getötet werden, da nur Personen Rechte und eine Würde haben. Erst ab einem gewissen Stadium (der von Bioethikern unterschiedliche definiert wird), wird der Mensch zu einer Person. So trennt die Personschafts-Theorie den Körper von der Person und dient als Grundlage für den Mord an Millionen ungeborenen Kindern. Die Personschafts-Theorie muss letztlich als Ergebnis der materialistischen und darwinistischen Sichtweise angesehen werden. Sie widerspricht der Bibel grundlegend, die den Menschen als ganzheitliches, untrennbares Wesen betrachtet, der aus Körper und Geist besteht.

Doch die dualistische Sichtweise ist nicht nur in der säkularen Kultur zu finden, sondern auch im Christentum. Eine Beispiel dafür ist die Trennung des „geistlichen“ Bereichs vom „irdischen“. Das „Geistliche“ wird dabei im oberen, heiligen Stockwerk angesiedelt und beinhaltet den Dienst für Gott und das fromme Leben, wie Bibel lesen, beten, spenden, fasten usw. Der „geistliche“ Bereich wird als wertvoll und sehr wichtig angesehen und steht im Kontrast zum Erdgeschoss des „Irdischen“. Hier ist alles zu finden, was das alltägliche irdische Leben betrifft: Arbeiten gehen, um die Kinder kümmern, Einkaufen, Freizeitaktivitäten, Essen, Schlafen usw. Der irdische Bereich wird im Grunde als notwendiges Übel angesehen ohne den es einfach nicht geht. Dementsprechend werten Christen den Körper als wenig nützlich ab und legen den Schwerpunkt vor allem auf den Geist. Das christliche Leben wird von dem „normalen“ Leben abgekoppelt und findet zugespitzt nur noch am Sonntag statt. Das Problem dabei ist, dass es die ganzheitliche Sicht Gottes auf das Leben auseinanderzieht und eine Trennung einfügt, wo Gott keine Trennung vorgesehen hat.

Pearcey nennt in ihrem Buch einige Argumente, die zeigen, dass Gott den Körper des Menschen wertschätzt und Körper und Geist zusammen eine Einheit bilden, die nicht getrennt werden darf. Zum einen schuf Gott den Menschen nicht nur als Geist, sondern gab ihm einen Körper. Gott hatte alles sehr gut geschaffen, auch den Körper. Die Schrift behandelt den Geist und den Körper als zwei Seiten einer Medaille. In den Psalmen wird dies bspw. durch den Parallelismus deutlich. „Es dürstet nach dir meine Seele, nach dir schmachtet mein Fleisch.“ Ps. 63,1. Ein weiteres wichtiges Argument ist die Tatsache, dass Jesus Christus Mensch wurde. Er kam nicht einfach als Geist auf diese Erde, sondern wurde Mensch. Als er dann am Kreuz starb, „befreite“ er sich nicht vom irdischen Leib, sondern, stand vom Tode mit einem neuen Körper auf und fuhr mit diesem in den Himmel auf. Jesus ist mit diesem neuen Körper in der Ewigkeit.

Im Kolosserbrief fordert Paulus die Christen dazu auf, alles von Herzen für den Herrn zu tun. Paulus nimmt dabei keine Trennung zwischen einem heiligen und irdischen Bereich vor, sondern schließt alles mit ein. Wir sind dazu aufgefordert Gott ganzheitlich zu Ehren und zwar mit unserem Körper und unserem Geist. Außerdem nennt die Bibel nicht den Leib als die Quelle der Sünde, sondern das Herz. Sie ist die innere Schaltzentrale, die Denken, Wollen, Fühlen mit einschließt, also der Innere Mensch mit seinen Motiven, Beweggründen und Befindlichkeiten. DennausdemHerzen kommen böse Gedanken, Mord, Ehebruch, Unzucht, Diebstahl, falsche Zeugnisse, Lästerungen. Mt. 15,19 Die Frage ist also nicht, wie ich meinen Körper und seine Bedürfnisse noch mehr unterdrücken und knechten kann, sondern wie ich als ganzheitlicher Mensch Gott ehren kann.

Eine weitere problematische Trennung, die in der Christenheit zu finden ist, betrifft die Abspaltung der Ethik vom Evangelium. Das Evangelium wird zwar für den Start im Glauben als grundlegend angesehen, doch dann geht es in der Folge darum, sich nun auf die Ethik zu fokussieren und im Glauben zu wachsen. Evangelium und Ethik wird hier also voneinander getrennt und als eigenständige Gebiete nebeneinander gestellt. Diese Sichtweise rührt von einem mangelnden Verständnis des Evangeliums. Die Ethik kann nicht vom Evangelium getrennt werden, sie ist Teil des Evangeliums. Durch die frohe Botschaft erfahren wir, dass wir Sünder sind und mit unseren eigenen Werken nicht vor Gott bestehen können. Wir erfahren weiter, dass Jesus Christus für unsere Sünden gestorben ist und uns vor dem Zorn Gottes errettet und die zerbrochene Beziehung wiederherstellt. Nun bedeutet dies nicht, dass wir mit der Erlösung „ausgestattet“ nun unsere eigene Kraft verwenden, um zur Ehre Gottes zu leben. Nein, wir sind jeden Tag auf die Hilfe unseres Heilands und Herrn angewiesen und wachsen im Glauben, indem wir uns jeden Tag an ihm festhalten. Weil wir erlöst wurden, folgen wir Jesus nach und leben zu seiner Ehre. Wir bleiben jeden Tag in der Gnade Jesu stehen und sind dadurch fähig, Christus zu dienen. Das Evangelium ist die Kraftquelle des christlichen Lebens, das rechte Handeln fließt aus dieser Quelle heraus. Aus uns heraus können wir nichts tun, weder vor der Bekehrung noch danach. Wir sind jeden einzelnen Tag auf die Gnade Jesu angewiesen. Tim Keller formuliert es folgendermaßen:

Wir werden allein durch Christus erlöst und allein durch den Glauben, aber nicht durch einen Glauben, der allein bleibt. Echte Erlösung führt immer zu guten Werken und einem veränderten Leben.

Keller, Predigen: Damit Gottes Wort Menschen erreicht, Gießen: Brunnen Verlag, 2017, S. 48.

Ethik und Evangelium sind eine Einheit und dürfen nicht voneinander getrennt werden. Wenn dies doch geschieht, hat dies zur Folge, dass eine der beiden Themen in das obere Stockwerk wandert und das andere in das untere. Das bedeutet folglich, dass eines der beiden Themen als wichtiger und das andere als weniger wichtig betrachtet wird. Auf ein Thema wird dann ein großer Fokus gesetzt, das andere Thema landet unter „ferner liefen“. Wenn die Ethik in das obere Stockwerk gesetzt wird, dann hat dies zur Folge, dass die Werke sehr stark betont werden und die Botschaft der Gnade wenig Raum hat. Dies wirkt sich dann häufig in einem gesetzlichen Verhalten aus, indem das Heil praktisch von den Werken abhängig gemacht wird. Wenn hingegen das Evangelium im oberen Stockwerk angesiedelt wird, führt das zum Antinomismus. Die Errettung ist dann das einzige was zählt, die Taten spielen keine große Rolle. So oder so, die Trennung ist unbiblisch und sorgt für eine Schieflage.

Die dualistische Sichtweise in den oben erwähnten Ausprägungen ist als äußert problematisch anzusehen. Gott schuf den Menschen als eine Einheit aus Körper und Geist, die nicht getrennt werden darf. Egal ob in der säkularen Welt oder in der Sphäre des Christentums, führt eine Trennung letztlich dazu, dass man sich von der gottgegebenen Ordnung entfernt. Es ist wichtig, dass wir unsere eigene Sichtweise hinterfragen und uns da wo es nötig ist, von der Schrift korrigieren lassen. Ein Blick in die Schöpfungsordnung ist gerade in der gegenwärtigen Zeit mit den vielen säkularen Anfragen an den Menschen von großer Bedeutung und gibt uns Christen Orientierung und ein Fundament. Ohne dieses Fundament entsteht Verwirrung, Unsicherheit und letztlich die Abwertung des Menschen. Das ist die Ironie unserer Zeit. Der Mensch wandert immer stärker in den Mittelpunkt, emanzipiert sich von seinem Schöpfer und katapultiert sich selbst damit ins Abseits. Was unsere Gesellschaft heute mehr denn je braucht, ist eine Rückbesinnung auf den Schöpfer und die gottgegebenen Ordnungen. Auch wir Christen tun gut daran, uns intensiv über die Schöpfungsordnung Gedanken zu machen, um eine fundierte biblische Sicht des Menschen vertreten zu können und die Auflösungserscheinungen der (christlichen) westlichen Kultur zu durchschauen.

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1Vgl. Pearcey, Liebe deinen Körper: Sexualität, Gender, und Ethik aus Sicht von Medien Politik und Bibel, Augustdorf: Betanien Verlag, 2019, S. 17-18.